An Episoden aus der Jugendzeit kann sich fast jeder erinnern. Sie werden überall, insbesondere bei Klassentreffen zum Besten gegeben. Diese meist liebenswerten Geschichten machen die Schul und Jugendzeit lebendig und sind Zeugnis prägende Lebensabschnitte.
Für "nicht gelernte" DDR-Bürger ist es oftmals nicht einfach sich in die
gesellschaftlichen Zustände der damaligen DDR hineinzudenken.
Deshalb hier ein kleiner Hinweis:
Obwohl nach dem Ende des 2. Weltkrieges bis zu Beginn der sechziger Jahre von einer demokratischen Gesellschaft gesprochen wurde, galt eine andere Praxis. Im Prinzip lief alles
nur auf ein Ziel hinaus: Der Aufbau eines sozialistischen Staates,
geprägt vom Vorbild Sowjetunion. Im DDR-Deutsch hieß das: Diktatur der Arbeiterklasse unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei (SED). Diese "Partei- und Staatsführung" der DDR hat sich in den 40 Jahren ihrer Existenz unentwegt bedroht gefühlt. Besonders bedroht fühlte sich die Führung unseres Landes von der Beatmusik.
Ende der fünfziger Jahre dominierten Tanzorchester mit
stets gepflegten Arrangements. Auf der Bühne standen brave Sänger, die das Haar akkurat gescheitelt hatten. Sie sangen was man Ihnen auftrug und vor allem was sich geziemte. Das
änderte sich Anfang der sechziger als die Beatwelle ins Rollen kam.
Die ersten Beatles Songs hörte ich auf einen alten Graetz -
Radioapparat,den mein Vater während des Krieges durch halb Europa schleppte und der ohne größeren Schaden in meinemdamaligen Kinderzimmer gelandet war.
Soweit ich mich erinnere, konnte man nur auf der Mittelwelle den Deutschlandfunk, der 1962 gegründet wurde, in einigermaßen vernünftiger Qualität hören. Es gab da noch RIAS-Berlin der aber durch DDR-Störsender
meist unhörbar war. Besonders gut zu empfangen waren die Sendungen vom Soldatensender oder dem Freiheitssender 904. Beide Sender betrieb
die DDR,
und man versuchte erfolglos, den Hörern einzureden, dass es Westsender wären. Die Sendemasten standen aber in Burg bei Magdeburg.
Produziert wurde in einem Ostberliner Funkhaus. Die Schallplatten mit den neuesten Hits brauchte man nicht mal im Westen einzukaufen, denn aus Paketen wurden täglich zahlreiche beschlagnahmt.
In keiner Phase der Nachkriegsgeschichte war die Bereitschaft zu Veränderungen und zur Abkehr vom Althergebrachten größer als in den sechziger Jahren. Der Wind des Aufbruchs und des Neuanfangs wehte damals durch die Bundesrepublik aber auch durch die DDR . Traditionelle Bindungen und gesellschaftliche Zwänge, die sich während der fünfziger Jahre eher verfestigt hatten, wurden rigoros in Frage gestellt. Der Abbau von "überholten" Autoritäten war das Ziel weiter Bevölkerungskreise. Beatmusik galt zu dieser Zeit als Synonym für große Lautstärke und lange Haare.
Sie war also bei der älteren Generation von Anfang an negativ besetzt. Die Beatgruppen
schossen damals wie Pilze aus dem Boden. Wir hörten alles was Rang und Namen hatte:
Beatles, Rolling Stones, Kinks, Deep Purple, Jimi Hendrix, usw. usf.
Auch hier im Osten gründeten sich zahlreiche Bands.
Als Geburtsstunde des Ostrocks
sehen viele Experten den ersten Auftritt der Klaus-Renft-Combo, im März 1958.
1962 wurde Renft zum ersten Mal verboten wegen
"Verbreitung amerikanischer Unkultur" .
Weitere Bands im Osten Anfang der 60er Jahre waren
die Theo Schumann Combo, die Sputniks und das Franke-Echo-Quintett.
Die veröffentlichten Titel der DDR Beatgruppen hatten vornehmlich instrumentalen Charakter (LP Big Beat 1+2)da der englische Wortschatz bei der DDR-Bürokratie verpönt war.
Im Übrigen sahen die DDR-Oberen die Entwicklung der Beatszene hier im Osten sehr skeptisch. Nach einem Konzert der Rolling Stones auf der
Westberliner Waldbühne, bei dem es zu Krawallen kam, wurde der Beatmusik ein Riegel vorgeschoben.
Während bis Mitte 1965 eine gewisse Toleranz gegenüber der Beatmusik herrschte,
wandelte sich die Haltung des Staates im Spätsommer des Jahres. Die Spitzenfunktionäre der SED sahen nun endgültig das Machtmonopol der Partei gefährdet. Die Liberalisierungsprozesse in der Jugendpolitik wurden rückgängig gemacht.
Beeinflusst wurde die Verschärfung der Jugendpolitik durch verschiedene Vorkommnisse während des Jahres 1965. Eins davon war ein Konzert der Rolling Stones in der Waldbühne in West-Berlin im September 1965, das mit Tumulten und Verwüstungen endete.
Die Anweisungen des Kulturministeriums vom 11.10.1965 besiegelten das offizielle
Ende vieler DDR Beatgruppen.
Es wurde ihnen nunmehr verboten in öffentlichen Räumen Musik wie Beat und Rock 'n' Roll zu spielen. Auf diese Weise verloren in Leipzig 44 der insgesamt 49 registrierten Amateurbeatbands ihre Spielerlaubnis. Die Folgen sind mehr oder weniger bekannt.
Durch die umfassende Reglementierung brodelte es unter den Jugendlichen.
Vor genau 53 Jahren, am 31.Oktober 1965, fand in Leipzig die so genannte Beatdemo statt. Tage vor dem 31.10. tauchten in Leipzig Flugblätter auf, die zur Demonstration gegen das Verbot der Beatmusik aufriefen.
Die Flugblätter waren mit einem
Stempelkasten für Kinder hergestellt, andere Möglichkeiten der Vervielfältigung gab es nicht
oder waren verboten.
Die Demo sollte auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig stattfinden.
Unabsichtlich verhalfen die "staatlichen Organe", dass von der Beatdemo
auch der letzte Fan erfuhr. Durch die in Schulen durchgeführten Ranzenkontrollen bei der Suche nach den Flugblättern sowie durch ausgesprochenen Warnungen: „ Wehe ihr geht zum Protestmarsch“ brachte man den Termin unters Volk.
Am Tag der Demo fanden sich ca. 2500 Jugendliche ein unter denen sich eine größere Anzahl
Stasileute befanden. Außerdem rückte die Bereitschaftspolizei an. Die versammelten Jugendlichen, die man als Feinde ausmachte, wurden zusammengeschlagen, auf Laster
geworfen und abtransportiert.
Insgesamt wurden 279 Jugendliche verhaftet und teilweise zur
Zwangsarbeit in den Braunkohletagebauen im Süden von Leipzig verurteilt.
Mit dem Beginn der Ära Honecker änderte sich aber einiges. Besonders für die
Weltöffentlichkeit sollte im Hinblick auf die Entspannungspolitik die neue Offenheit zur Schau gestellt werden. Soweit dachten wir damals aber nicht.
Sonnabends
pilgerten wir zu einen der Tanzsäle, die außerhalb der Stadtgrenzen Leipzigs lagen.
Kultplätze dieser Art waren die "Zentralhalle Gaschwitz", Kulturhaus "Sonne",
das "Parkschlösschen" in Brandis und das besonders beliebte Kulturhaus in Zweenfurt.
Die Beatgruppen, die dort spielten,hatten immer die neuesten Hits in ihrem Repertoire. Dementsprechend war der Saal auch oft brechend voll.
Sonntags wurde dann die Ereignisse
des Vortages in unserer damaligen Stammkneipe" Albertpark" ausgewertet. Den "Alberpark" leitete zu der Zeit ein Kneiper in
unserem Alter. Im Herbst 1971 sprach er uns an, ob wir nicht Lust hätten, eine wöchentliche Tanzveranstaltung zu organisieren.
Die Musik sollte aus der Konserve kommen.
(Vorläufer solcher Tanzlokale ohne Live-Band gab es schon in den 1930er Jahren. In US-amerikanischen Bars tanzten die Gäste zu Musik aus der Jukebox. Vorbild und Namensgeber aller modernen Discos war jedoch die Bar "La Discothèque" in Paris.
Die erste (west-)deutsche Disco eröffnete 1959 übrigens nicht in Berlin oder Hamburg, sondern in - Aachen.)
Wir waren natürlich hellauf begeistert und planten sofort los.
Leider fing das Elend damit schon an.
Die Bewirtung war ja nicht das Problem-wir brauchten Verstärker, Lautsprecher und Tonträger, der Einlass musste organisiert sein.
Lautsprecherboxen und Verstärker, in den Dimensionen wie wir sie heute kennen, waren illusorisch und wenn, dann nur über dunkle Kanäle und für viel Geld. Also war wieder einmal Privatinitiative gefragt.
An Abspielgeräten
konnten wir 2 Tesla-Tonbandgeräte B41 auftreiben Einen Plattenspieler stellte uns der Albertpark zur Verfügung.
Ich opferte meinen kleinen Heimverstärker HSV 900, den ich mir von meinem Ersparten geleistet hatte. Allerdings reichte er nicht annähernd dazu aus, die Gaststätte zu beschallen.
Ein Engelsdorfer Bastelfreak hörte von unseren Nöten und vermachte uns einen selbstgebastelten Röhrenverstärker mit dazugehöriger Lautsprechersäule.
Rechts der Röhrenverstärker (der auch als Bierglasablage genutzt wurde),dahinter die Lautsprechersäule. Auf beides waren wir damals mächtig stolz.
Ein Plattenspieler stand uns zwar
zur Verfügung, allerdings gab es nicht die einschlägigen Platten dazu im Handel.
Spielbare Musik wurde auf Band aufgezeichnet, sofern wir auf irgendeinen Westsender
eine erträglichen Empfang hatten. Quellen waren der Deutschlandfunk, Rias, Bayern 3 oder aber
der Beatclub auf der ARD.
Aber auch hier griff die Staatsmacht ein: wir durften nur Musik im Verhältnis 60:40 spielen-d.h. 60% Ost- und 40% Westtitel. Die Titel mussten von der AWA abgenickt werden.Die AWA war zu DDR-Zeiten das Musikkontrollorgan zur Wahrung der Urheberrechte.Natürlich hielten wir uns nicht an diese Vorgaben und spielten 95%West und 5% Ost und handelten uns damit immer wieder mal Ärger ein.
Plakate konstruierten wir kunstvoll selber. Jedes war ein Unikat, da es keine Möglichkeiten zur Vervielfältigung gab. Außerdem durften sich keine englischen
Fragmente auf dem Plakat befinden.Z.B. musste das Wort „live“ gestrichen werden.
Nach dem wir alles soweit in der Reihe hatten, legten wir die erste Dezemberwoche1971 los: Mittwochs Disco ’71 im Albertpark zu Engelsdorf von 18:00-22:00 Uhr.Es war ein voller Erfolg. Unsere Disco war ein Novum im DDR Staat. Wir versuchten auch etwas
Abwechslung im Laufe der Wochen. So organisierten wir einen Fasching oder kleine Liveauftritte.
Unser Standardteam bestand aus 4 Personen (vom Wirt mal abgesehen). Wir organisierten
praktisch den ganzen Ablauf der Disco und konnten dabei auf etliche Kumpels
zurückgreifen, die uns bei Bedarf zur Seite standen.
In der DDR wurden zur Vermeidung englischer Begriffe deutsche
Synonyme eingeführt. Ein Diskjockey war nach DDR-Sprachgebrauch ein
Disco-Sprecher oder dann später ein Schallplattenunterhalter (SPU).
Zu diesem Zweck mussten wir nach einigen Wochen Disco eine Schulung mit
anschließender Prüfung beim Stadtkabinett für Kulturarbeit in Leipzig ablegen.
Nach dem wir die Prüfung erfolgreich abgeschlossen hatten, bekam jeder von uns
eine befristete Zulassung als Disco-Sprecher.
Es kam aber so, wie es kommen musste: Was nicht in die Schiene der Machthaber passte, wurde abgewürgt. Nach ca. einen halben Jahr musste unser Kneiper zur Armee. Die nachfolgenden Betreiber des Albertparks duldeten uns wohl noch eine ganze Weile bis wir dann leider aufhören mussten.
Etwa Mitte der siebziger Jahre wurden im Kultursaal des Chemiehandel Leipzig wieder Diskotheken durchgeführt. Der Initiator war Herr Dieter Stolle.
Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre fanden die sogenannten
Jugendtanzabende statt. Auf den Dörfern, rings um die Ballungszentren,
gab es Tanzabende, ab und zu auch mal ein Konzert.
Im Leipziger Landkreis ging es für DDR-Verhältnisse vor allem in Gaschwitz, Zweenfurth,
Brandis und Taucha „hoch“ her.
Einige Gruppen konnten sich im Laufe der Zeit profilieren und fanden
Ihren eigenen Stil, so z.B. die Klaus-Renft-Combo, Elektra, die Puhdys
oder aber die Bürkholz Formation. Die Texte waren ausnahmslos in deutsch. In den aufkommenden DDR-Diskotheken spielten sie aber keine große Rolle,
was sicher auch an der Tanzbarkeit der Titel lag.
Wir versuchten mit dem auflegen von Ost-Titeln die von staatlicher Seite vorgeschriebenen 60% zu erfüllen, was aber nie der Fall war.
Meist waren es 90 oder 95% West- und der Rest Osttitel.
Normalerweise mussten wir die Musikfolge einer jeden Discoveranstaltung auflisten und bei der AWA
(Anstalt zur Wahrung der Urheber- und Aufführungsrechte) einreichen.
Danach wurden die Gebühren berechnet. Die AWA schickte auch ihre Spione ab und zu in die Disco um die Musikabfolge zu kontrollieren.
Bei uns waren sie, wenn ich mich recht erinnere, 1x gewesen.
Allerdings hatten wir einen cleveren Einlassdienst. Sie wurden einfach wegen Überfüllung nicht eingelassen. Ernsthafte Folgen waren aber nicht zu spüren.
Die Diskothek, so wie wir sie 1971 aus der Taufe hoben, hatte eigentlich nur entfernt mit den Discos zu tun, so wie sie heute überall
anzutreffen sind.
Die Jugendlichen suchten Treffpunkte zum tanzen und Musik hören-
ohne der allgegenwärtigen Reinrederei der FDJ.
Auch die technischen Voraussetzungen gegenüber heute waren spartanisch. Als „Lichtorgel“ fungierte eine ausgediente Rundum-
Leuchte die mit einem Modelleisenbahnmotor wieder funktionstüchtig
gemacht wurde. Ein ausrangierter Scheinwerfer aus dem Opernhaus,
bei dem das Schutzglas rot angemalt wurde, verlieh der Veranstaltung etwas Atmosphäre.